© Thomas Kampmann ./. ART & carlfunkel

Bücherkiste 2015

Meine Lieblingsbuch 2015:

"Der Distelfink" von Donna Tartt


Tabu
Ferdinand von Schirach, verlag piper

Was sofort blendet, ist die "Internationalität" der Kritiken. Im Buchumschlag wird groß aufgefahren: New York Times, oder Libération, Paris. Kommen gleich mit "außergewöhnlich" und "Meisterleistung" daher. Ganz ehrlich? Zumindest auf Deutsch ist das Buch ist ein einziger Ärgernis. Selten sowas zusammenhangloses gelesen; immer wieder wird irgendwas angedeutet, hin geraunt, was dann irgendwo verpufft. Seifenblasen halt. Was ich verstanden habe, ist, dass das Buch zwei Teile hat. Im ersten Teil wird versucht, einen Psychopopanz aufzubauen, in dem die Hauptperson, Sebastian von Eschburg, als irgendwie traumatisiert dargestellt wird. Das ist so hanebüchen, dass man das Buch schon früh weglegen will. Nun ist es aber so, dass ich zwei andere Bücher des Autors gelesen habe, Fallstudien des Rechts, eher kurze Biographien, von psychisch wankenden Menschen und deren Taten. Diese Bücher waren gut. Und jetzt diese Enttäuschung. Naja, um es abzuschließen, im zweiten Teil kommt noch ein alt gewordener und an der Gesellschaft zweifelnder Anwalt hinzu, der den "Fall" Eschburgs übernimmt um mit einem Richter und einer scharfen Staatsanwältin, die Anschuldigung gegen Eschbach, auszuräumen. Gibt nämlich keine Leiche. Und alles fußt auf der relativen Interpretation von Wahrheit und Wirklichkeit. Oder so!

 

Frank
Richard Ford, verlag hanser

"Mehrere Straßen entfernt höre ich wieder die Glocken von St.Leo, die Weihnachtslieder für die spirituell Schwankenden in die Welt hinausgongen". Für diese Sätze liebe ich Richard Ford, von dem ich kein einziges (in Worten - kein einziges) Buch versäumt habe. Von "Verdammtes Glück" bis eben "Frank". Mehr noch; es kommt ja vor, das man im Laufe seines literarischen Lebens (hier als Leser) sich von Büchern trennen muss, sei es durch Umzüge, oder was auch immer. Nie im Leben würde ich die Richard Ford Batterie aufgeben. Es ist müßig dieses Buch zu kritisieren. Entweder man mag diesen Meister der Lakonie (und der Sprachgewalt seines kongenialen Übersetzers Frank Heibert) oder man kann damit nichts anfangen. Es sind vier Geschichten aus dem letzten Teil des (Franks) Lebens. Frank Bascombe, man muss sagen, Fords alter Ego, sieht alles mit wachem Auge und den üblichen Altmännerschwierigkeiten. Er kommentiert sein nachbarschaftliches Umfeld und vergleicht es mit dem Weltgeschehen, vor allem dem seiner Ostküstenbewohner, und umgekehrt. Und er ordnet immer wieder, und er ist vielleicht der Einzige der das so gut beherrscht, Verben Substantiven zu, die diese nun wirklich überhaupt nicht erwarten. "Könnte alles schlimmer sein", titelt er sich gleichmütig in die zweite Geschichte und schwadroniert seitenlang über die Begrifflichkeit oder die Bedeutung (gibt es eine?) von "...in den luftleeren Raum geschmissen..." Wunderbar. Nach "Kanada" - von dem ich etwas enttäuscht war, als dieser Roman vor drei Jahren erschien, bin ich wieder mit ihm zu Hause. Und Richard Ford mit seinem Frank Bascombe. Und ich könnte immer weiter lesen. Leider ist "Frank" nur 219 Seiten stark, aber eben stark.

 

Raketenmänner
Frank Goosen, verlag kiepenheuer&witsch

Als ich in den Achtzigern ernsthaft mit dem lesen begann, waren meine ersten Helden amerikanische short story teller wie Paul Auster oder Richard Ford, später auch David Sedaris. Alle haben es zu recht zu Ehre und Ruhm gebracht. Und nun halte ich "Raketenmänner" in der Hand und ich bin von Anfang bis Ende begeistert. Es geht mir hier bei Goosens Kurzgeschichten nicht um Plots, Spannung oder lyrische Sensationen. Mich beeindrucken eher die späten Helden, alles Männer weit im zweiten Teil ihres Lebens, wo man sich nicht mehr ernsthaft fragen sollte: "Ist das jetzt alles? War es das, was ich wollte?" Zum Umkehren ist es meist zu spät, und doch kommen wir in den Geschichten an und ab an dem berühmten "Ich geh mal eben Zigaretten holen" Syndrom vorbei. Alle Männer leben auf dünnen Eis, die Katastrophen sind teilweise mit der Hand zu greifen und doch schafft es Goosen immer wieder, die Storys früh genug zu beenden. Wunderbar der Familienanwalt, vor dem ein Schönheitschirurgenehepaar- zombiegleich - dem ratlosen Juristen mitteilt, ihr Problem sei, dass nach der Scheidung keiner die Kinder haben wolle. Der Mann des Rechts steht mitten in dem Beratungsgespräch auf und geht. Und geht. Geht einfach. Und so geht es vielen der Raketenmänner, die sich von ihrem Leben so viel versprochen haben und nun mit irgendwelchen Zwängen zu recht kommen müssen, von denen sie nie geahnt hätten, dass sie mal in solche Fallen tappen. Sei es beruflich oder in der Beziehung. 18 Geschichten, manche Namen sind lose miteinander verbunden. Voller wunderbarer Lakonie und Lebensnähe. Goosens Hang zur Musik und zum Fußball schimmert immer wieder durch und gibt allem zusätzlichen Halt. Toll!

 

Eine Reise später
Patrick Tschan, verlag braumüller

Es geht um das erste Mal, die erste große Liebe, die ersten riesigen Enttäuschungen, so dass man auch mit zarten sechzehn, oder grade deswegen, oft nicht mehr weiter leben will. Diese Erlebnisse sind so prägend, dass man sie, auch zig Jahre später, auf der Haut oder im Herzen, oder alternativ in der Magengrube, spürt. Dann, wenn man mit etwas Damaligen konfrontiert wird und sich die Synapsen der Erinnerung zusammenschließen. Ich glaube jeder kennt das. Der berühmte japanische Schriftsteller Haruki Murakami - schon lange ein Nobelpreiskandidat - beschreibt dieses Phänomen eindringlich, fast schmerzhaft in seinem Roman „Gefährliche Geliebte“. Das Gesicht, das erste ernsthafte Verliebt sein, vergisst man nicht. Astrid und Schmied waren in jungen Jahren, von der Pubertät bis fast Mitte zwanzig, mehrmals leidenschaftlich zusammen. Nach dem vierten Versuch war es das. Aus. Und aus dem Sinn. Dachte er. Durch Zufall wird Schmied, mittlerweile sind beide jenseits der fünfzig, auf die Stimme von Astrid aufmerksam, die Zugansagen macht. Er sucht sie und findet sie. Sie freut sich sogar, ihn wieder zu treffen. Beiden geht es materiell gut und so beschließen sie eine Auszeit in Form einer Urlaubsfahrt zu den Zielen, die sie gemeinsam vor dreißig Jahren schon besucht haben. Es geht über Paris in die Normandie mit allerlei Begegnungen mit der Vergangenheit. Manches scheint sich gar nicht verändert zu haben, anderes gibt es nicht mehr. Aber sie verstehen sich prächtig, sowohl im Bett als auch drum herum und plaudern über das Leben. Irgendwann wird es ernster, denn zwischen ihnen steht noch Max, der - in der Zwischenzeit gestorben - damals Schmieds bester Freund war - der ihm aber Astrid "ausspannte". Das alles ist nicht wirklich sensationell oder aufregend, sondern besticht eher durch das ruhige, reflektierte Herangehen an das Thema Leben. Ein Hauch von Existenzphilosophie, es geht alles nicht wirklich tief, man kommt eher heiter gestimmt aus der Lektüre. Genuss ohne Reue!

 

Der namenlose Tag
Friedrich Ani, verlag Suhrkamp

Was vordergründig als Krimi daherkommt, entpuppt sich als eine niederschmetternde, sozialpsychologische Studie. Manchmal geht es mir auch so, wenn ich durch die Straßenschluchten und Wohnblocks der Häuser radele, und mich frage, was sich hinter diesen Fenstern und Türen für Dramen abspielen. Wie viele Familien nur noch auf dem Papier existieren, Pubertiere auf die -wie an den Händen festgewachsen - Smartphones starren und dir die Einsamkeit von überall entgegen schreit! Mit einem solchen Fall dieser dunklen Seiten aus menschlichen Wrackteilen, bekommt es unser pensionierter Kommissar Jakob Franck zu tun. Der "Fall" liegt schon 20 Jahre zurück, aber der Vater der damals siebzehnjährigen Tochter, die man erhängt im Stadtwald fand, kann sich bis heute nicht damit abfinden und glaubt nicht an einen Selbstmord! Er wendet sich an Jakob Franck mit der Bitte, alles noch mal aufzurollen. Nach und nach entwickelt sich für Franck ein düsteres Bild, eine Mischung aus Gier, Neid, Schein und sprachloser Einsamkeit. Es kommt am Ende sogar zu einer Art Lösung des Falles, aber wichtig ist das für dieses klasse Buch nicht. Der Roman entwickelt einen Sog aus seinen brüchigen Figuren und einmal mehr geht es um die menschliche Existenz als Ganzes. Wie kriegt man sein Leben rum und an welchen Stellen reicht es einem einfach? Sehr empfehlenswert, wie eigentlich alles, was ich bisher von Ani gelesen habe!

 

Gefühlte Nähe
Harald Martensen, verlag c. Bertelsmann

Ach ja, glücklicherweise bin ich, naja, ich glaube es, einer solchen Frau nie wirklich näher begegnet. Vielleicht Intuitiv vorsichtig; vielleicht mag ich den Geruch nicht, nicht die ganze Atmosphäre, die so ein "Wesen" umgibt. Wir erleben diese N. in 23 Geschichten mit Männern. Wir begleiten Sie vom - na ja, nicht näher beschriebenen, sagen wir Praktikumsalter, 16-17 Jahre - beim älter werden, bis hin zu den unweigerlichen Merkmalen, die einem an die Körper gehängt werden, wenn er Jahresringe sammelt. Männer reiben sich mal mehr auf, mal weniger, aber im Grunde eint sie, dass keiner N. wirklich erreicht hat. Resp. ihre ganze Liebe bekommen hat. Sie nahm sich eher die Männer, war teilweise jahrelang aufopferungsvolle Geliebte um dann in irgendeinen dieser modernen Hosenanzüge zu schlüpfen, um dann eine dieser angesagten Medienmeilen runter zu traben, eher ein Prêt-à-porter der Eitelkeiten, um dann ihrem Leben die vermeintliche entscheidende Wendung zu geben, bis - na, bis es ihr wieder langweilig wird. Und so gehen die Jahre ins Land, kinderlos wird sie älter und man kann es nicht anders sagen: ein Hauch von Einsamkeit umgibt das alles. Einsame Karrierefrau ist für mich kein so schönes Bild.
Man (n) hat beim Lesen immer ein leichtes Unbehagen und spürt das zweifelhafte Glück, von so einer Frau verschont geblieben zu sein.

 

Die Abräumer
Thomas Schweres, verlag grafit

Mein zweiter Roman von Thomas Schweres und er kommt mir bedenklich nahe. Ich meine so geographisch. Alles passiert in meinem Stadtteil, da wo ich groß geworden bin. Ich kann jedes Schlagloch nachvollziehen und kenne das gastronomische Angebot rund um die Sparkasse, wo diese Geschichte seinen Anfang nimmt. Nicht wundern würde ich mich über folgende Textzeile in dem Buch: "Direkt gegenüber von der Sparbank steht ein Marktcafe' mit feiner Rundumsicht und wie mindestens zweimal in der Woche, sitzt unser lokaler "Bonsai Rainhard Mey" Fred Ape mit seinem schon in jungen Jahren erkrankten Bruder darin und müsste eigentlich den absurden Vorgang im Blick gehabt haben". Aber mich hat keiner gefragt und ich hab auch nix gesehen. Dafür bekommt aber der TV- Boulevardjournalist Tom Balzack, mit eigener kleiner Produktionsgesellschaft (Broadcast.TV), zufällig ins Spiel, der an seinem eigentlich freien Tag, den Fluchtweg einer Bankräuberin kreuzt, und selbst dabei arg verletzt wird. Nun dröselt sich nach und nach die Geschichte auf, und wer aufmerksam die Geschehnisse rund um das Dortmunder Rathaus und seinen Bezirksverwaltungstellen in den letzten Jahren verfolgt hat, und Thomas Schweres hat das garantiert, der weiß, dass sich so ein Verwaltungsmoloch an seinen Rändern mit schwarzen Schafen zu befassen hat. Unterschlagungen, Korruptionen, Manipulationen aus reiner Bereicherungsgier! Die realen Parallelen liegen auf der Hand. Schweres steuert aber mit seinem Roman, ähnlich wie in dem Vorgänger "Die Abtaucher", nach und nach das, oder die großen Verbrechen an. Die internationalen, kriminellen Immobilienhaie, Notare im Auftrag von Killern, Bankangestellte die verbrecherisch Kreditnehmer knebeln, damit das Haus in bester Lage, zum Spekulationsobjekt wird. Etc.
Kriminalkommissar Georg Schüppe - genannt Spaten - und Tom Balzack, beißen sich in den Fall hinein, wo am Ende noch viel privates Unglück, den ursprünglich angelegten Faden aufnimmt. Von Dortmund - Hombruch hinaus zu den Cayman Islands. Wie das geht? Einfach lesen. Lohnt sich!

 

Vogelweide
Uwe Timm, Kiepenheuer & Witsch

Was tun, wenn man alles verloren hat? Christian Eschenbach, der Name hört sich schon irgendwie philosophisch an, nimmt irgendwann an. Seine Insolvenz, seine Beziehungszerstörungen seine gescheiterte Existenz! Und gewinnt dadurch wieder an Stärke. So kann man es eigentlich kurz und bündig stehen lassen. Aber damit wird man einem Uwe Timm nicht gerecht, er ist mittlerweile einer meiner liebsten und besten deutschen zeitgenössischen Literaten geworden. "Entdeckt" habe ich mit ihm die Currywurst, bin mit ihm über "Rot" gegangen, habe eine schreckliche Zeit am Beispiel seines Bruders erleben können und tatsächlich im wörtlichen Sinne grade eben einen "Heißen Sommer" erlebt. Und jetzt gehe ich ein Buch lang parallel mit Eschenbach und ich verstehe ihn in jeder Faser. Ob ich selbst jemals so gehandelt hätte oder - habe, geschenkt, bzw. manchmal bestimmt. Geschäftlich passiert ihm, was vielen zur Zeit passiert. Ein dicker Kunde fällt weg, ein anderer kann nicht bezahlen und ein dritter wird ihm von einem eigenen Mitarbeiter, von dem er sich aus Aversion trennt, mitgenommen. Ergebnis: pleite! So weit, so normal. Wir erleben aber, während er noch gut situiert an seinem Saab Oldtimer herum schraubt, segeln geht und guten Wein trinkt, also auf der vermeintlichen Sonnenseite lebt, wie er einer Frau obsessiv verfällt. Sie bestimmt fortan sein Leben, es beginnt eine Affäre, die keinem gut tut, und als alles Porzellan zerschlagen ist, wird er quasi Eremit und Vogelzähler auf einer unbewohnten Insel in der Elbmündung. Das alles erzählt Timm mit einer gewissen Gleichmütigkeit, einer philosophische Lakonie, als wäre dieser Weg ein Normaler. Seine Vogelwächterexistenz wird auf eine harte Probe gestellt, als sich seine ehemalige Geliebte Anna ansagt, und ihn auf der Insel besuchen will.
Das bringt ihn gehörig durcheinander und er muss vor seinen Tag - und Nachtträumen, die erschreckend real daher kommen, echt in Deckung gehen. Eschenbach hat Annas Ehe gesprengt und Ewald, ihr ehemaligen Mann ist jetzt zwar mit Eschenbachs alter Freundin zusammen, aber nichts ist mehr so wie früher. Das Buch stellt viel in Frage und wirbt gleichzeitig darum, dass das Leben immer von Zufällen geprägt ist und ein Augenblick, ein Wimpernschlag einen völlig neuen Weg verheißen kann. Liebe ist, jemand anderen zu erhöhen, heißt es so oder ähnlich in dem Roman. Wohl wahr. Oder auch „Liebe macht blind“, das ist einfacher. Aber alles gehört zum Leben, wie der verirrte Rötelfalke auf seiner Insel, oder das gesammelte Strandgut der Ewigkeit, das angeschwemmt wird und von ihm gesammelt wird. Ein kluger Roman, empfehlenswert!

 

Ärger mit der Unsterblichkeit
Andreas Dorau, verlag galiani - berlin

Wenn man selbst Fred heißt, eben ich auch, also nur Fred - nicht Alfred, Frederic, etc... nur Fred, dann kommt man sicher tausende Male an ganz originellen Zeitgenossen vorbei, die aus meinem Namen mal eben "Fred Feuerstein" machen oder eben aus den Achtzigern "Fred vom Jupiter". Immer noch beliebt bei den ganz Kleinen. Es ist schließlich auch ein Kinderlied. So wie viele der Lieder der NDW textlich tatsächlich nicht mehr hergaben, wobei es natürlich extrem gute Kinderlieder gibt. Ohne Frage. Ich hörte Anfang des Jahres (2015) zufällig ein Radiointerview mit Andreas Dorau, dessen Name ich bis dahin nie gehört hatte und fand seine Sicht der Dinge reflektiv, ehrlich und unterhaltend. Daraufhin kaufte ich mir das Buch. Und was soll ich sagen? Ich fand das Buch ehrlich, reflektiv und unterhaltend. Manchmal ein wenig undurchschaubar, ob der vielen Zeitsprünge, aber es hat halt Methode, denn das Leben, bzw. oder auch das von Dorau, verläuft nie gradlinig. Ein Zeitportrait wird hier geliefert, welches man schmunzelnd oft genug nachvollziehen kann und im nächsten Moment kopfschüttelnd kaum glauben mag. Ob es um seine ganzen Versuche als Musiker (nach seinem Hit) geht oder seine Filmperformances gedreht mit öffentlichen Mitteln, mit kuriosesten Ergebnissen und Hausverboten. Selbst eine Oper zu schreiben ist ihm nicht zu viel, und sei es nur aus dem Grund, gesellschaftliche Konventionen und Sichtweisen zu sprengen. Ein positiv Verrückter spricht hier mit mir und zeigt mir meine Grenzen auf, die ich selbst gerne überschritten hätte. Aber es ist gut so. Ich will mich nicht beklagen. Dorau hat sein Auskommen - solange es die GEMA gibt, und ich auch. Was will man mehr?

 

Dynamitfischen in Venedig
Sascha Thamm, verlag lektora

Was habe ich für einen tollen "Beruf". Ich fahre als Künstler durch die Lande und lerne ganz nebenbei, z.B. auf mixedshows, wunderbare Kollegen kennen. So auch in diesem Fall: Sascha Thamm - und ich frage mich, warum erst jetzt. Der Mann ist ein Riesentalent, ein begnadeter Erzähler, dabei von einer lakonischen Absurdität. Es ist ja selten genug, dass ich laut wieher wenn ich abends mal zum Buch greife. Aber wie gesagt, diese Geschichten sind Knaller, eine besser und schräger als die andere. Gewissermaßen zum Atemholen gibt es kleine Gedichtchen in der Tradition von Insterburg oder auch Heinz Erhardt. Er verdreht und untersucht quasi jedes Wort nach einer weiteren Möglichkeit, daraus was semantisch - verrücktes zu machen. Beispiel gefällig? Titel: "Nicht erneuerbar! Im Windpark fliegt der Albatros...Zack! Im Windpark liegt ein Halbatross!" Fast verschluckt vor Lachen habe ich mich bei seinen "Kleinanzeigen", auch hier ein Beispiel: "An Liebhaber: Biete selbstaufblasbare Dartscheibe."
Wer das nicht zumindest komisch findet, dem ist nicht zu helfen. Das ganze Buch durchzieht seine Liebe zu Fischen. Seine Aquariumserlebnisse und die Beschreibungen der unglaublich unterschiedlichsten "Welse" sind ein Genuss. Unbedingt hingehen. Unbedingt lesen!

 

Der Distelfink
Donna Tartt, verlag goldmann

Au Mann, mal wieder ein Tausendseiter, ein „Kilobuch“, da muss man sich erst mal ran wagen. Lange genug habe ich gewartet, denn eigentlich fand ich "Die geheime Geschichte" von ihr damals schon absolut faszinierend. Der Roman beginnt in der Gegenwart geht schnell in eine Rückblende, baut das Leben nach und endet heute. Als Roman oft so genutzt. Aber das muss man auch können. Und Donna Tartt kann es. Man wird in die Geschichte förmlich rein gezogen, erfährt viele (mir) unbekannte Sachen aus der klassischen Kunst und Malerei, erfreut sich an Details des Restaurierungswesen und kriegt quasi ganz nebenbei eingeschüttet, für was Menschen Geld ausgeben. Das ist die eine Seite. Die Didaktische. Wie man so schön sagt, die zweite Ebene eines Buches. Gibt bestimmt ein Fremdwort dafür.
Und dann ist es eben die Lebensgeschichte von Theodore Decker, der 13 - jährig und voller Lebenszweifel bei intensivster Liebe zu seiner Mutter, eben diese durch einen eine Explosion in einer Museumsgalerie verliert und im Chaos mit dem Bild des Distelfinks, wieder aufwacht. Hier geht es richtig los. Dieses Ereignis und der Distelfink (gemalt 1654 in Holland von einem gewissen Fabritius, ein Schüler Rembrandts) welcher nun fortan und illegal quasi an seinem Leib klebt, krempeln sein Leben völlig um; er kommt auf seinem Weg mit ganz vielen, und unterschiedlichsten Menschen zusammen, von denen drei in dem Roman die wichtigsten sind: Pippa, in die er sich kurz vor der Explosion auf der Stelle verliebt hat, Hobie, der zu seinem väterlichen Freund wird und Boris, der ukrainische Schlawiner, der Theo mit seinem Drogen- und Alkoholkonsum fast fertig macht und der, gleichwohl als Freund, bis zum Ende windig und undurchschaubar bleibt.
Ein Aspekt, der mir am Ende immer wieder durch den Kopf ging, ist eben dieser lakonische Drogenmissbrauch, diese Selbstverständlichkeit, des sich Abschießens, das Treffen mit den Dealern, und immer eine "Nase" zur Hand. Wenn ich mir heute mal einen Schnaps gönne, was kaum geschieht, aber wenn, habe ich anderntags Kopfschmerzen. Und da wird alles in sich rein geschüttet, was auch nur annähernd, die Sinne vernebeln könnte. Aber vielleicht mein Problem, soll keinen interessieren. Interessieren wird vielleicht meine Wertung: absolut lesenswert!

 

Die Abtauscher
Thomas Schweres, verlag grafit

Es ist immer ein wenig komisch, wenn quasi neben deinem Elternhaus ein Mord passiert. Ist aber so, ich bin in Dortmund - Hombruch aufgewachsen und hier kommt es zur ersten Leiche. Und da gibt es hinterher noch viel von, versprochen. Wir sind in Dortmund, wo Kommissar Schüppe, genannt "Spaten" (isklar), diesen Fall auf den Tisch bekommt. Irgendwann kommt auch der kurz vor der Pleite stehende TV- Boulevardjournalist Tom Balzack mit eigener kleiner Produktionsgesellschaft (Broadcast.TV) an die Sache und es entwickelt sich ein munteres Spielchen, wer welche Info zuerst hat, und wie man die jeweils bewertet. Tom muss Sendeminuten verkaufen und Schüppe einen Fall lösen. Der Fall hat es aber in sich und mutiert zu einem internationalen Gemenge und im Angesicht der 8000 von den Serben hingerichteten Bosniaken in Srebrenica vor genau 20 Jahren bekommt der Krimi einen ziemlich aktuellen Bezug. Es wäre aber nicht gut mehr zu verraten, wie die Dinge zusammenhängen. Teilweise witzig ist alles und Schweres hat den Hinflug zum Plot klug gemeistert. Und wie gesagt, dadurch dass man die Straßen und Häuser in Dortmund sich sogar noch bildlich vorstellen kann, und auch den Ort des showdowns am holländischen Nordseestrand noch kennt, wird das Buch außerordentlich sympathisch. Viel Insiderwissen über die Schwierigkeit, Inhalte an TV Anstalten zu verkaufen, Boulevardjournaille inklusive. Genuss ohne Reue. Ruhrgebiet, du alte Talentschmiede!

 

Aus der Hölle ans Licht
Tim Gräsing, verlag die Werkstatt

Der Titel hat schon was Religiöses. Könnte von den Zeugen Jehovas kommen oder sonst welchen religiösen Fundis. Irgendwie ist ja Fußball auch nix anderes. Ich bin zwar auch mitten im Geschehen und verfolge den BVB auch schon mein ganzes Leben, hab seit 30 Jahren eine Dauerkarte und pöhle selbst immer noch. Aber ich bin weder fanatisch noch Ultra oder sonst was. Ich guck einfach zu. Und ab und an fallen mir auch gute Bücher über Fußball in die Hände. Die sind rar gesät, genauso gibt es auch wenig gute Fußballlieder. Beim BVB ist es vor dem Spiel (natürlich außer "You'll never walk alone") nur zum Ohren zuhalten. Gute Bücher sind für mich zum Beispiel die von Ronald Reng "Robert Enke, Ein viel zu kurzes Leben" oder "Der Traumhüter"; Tim Sparks "Eine Saison mit Verona" oder Nick Hornby "Fever Pitch". Und nun habe ich Tim Gräsings BVB "Übersicht" der letzten zehn Jahre in der Hand (2005 - 2015). Besser noch, wir gehen vor dem Spiel in den gleichen Biergarten (hier "Rothe Erde", jeder Fan hat eben seinen Lieblingsvorbereitungstreff) und gewinnen dem Leben außerhalb des Fußballs noch eine Menge ab. Gräsing erzählt von seinen Reisen, seinen Studienaufenthalten in der ganzen Welt und bei diesem globalen Erlebnishorizont fragt man sich natürlich, wo hat der Mann die Knete her. Also er klärt uns auf. Das Elternhaus liegt pekuniärweit über den eines BVB - Durchschnittsfans, denn alleine die endlosen An- und abreisen 600 KM aus Eisenhüttenstadt, (geht es noch weiter nach Osten?) und die Kurzfristigen Trips zu CL - Spielen oder mal eben mit dem Flieger vor irgendwoher. Naja, egal. Das fiel mir nur auf, kein Neid - denn das Buch ist wichtig und gut. Lässt nichts aus, was ein gut informierter Fan über die letzten zehn Jahre wissen muss. Und die hatten es in sich. Von dem Erfolg der Kloppära ist man ja auch ganz geblendet und man will von den bitteren Jahren, in der das Trio Niebaum, Meier und Sammer, den Verein in die Gosse gewirtschaftet haben, nichts mehr wissen. Und die Geschichte grade mal 10 Jahre her ist eigentlich unglaublich, denn der Verein hätte unter normalen Umständen in die Insolvenz gehen müssen! Zurückversetzt in die Oberliga, was auch immer. Und deshalb ist es wichtig, die Fakten aus der Zeit noch mal auf dem Tisch zu haben. Jubeln beim Gewinnen kann jeder. Aber mal wieder Namen ins Gedächtnis holen, das hat mir Riesenspaß gemacht. Und was waren das für Versuche mit Röber, Doll, Scala und van Marwijk bis irgendwann "Der Erlöser" kam. (Jetzt sind wir wieder beim Religiösen) Aber das war eben nicht nur Klopp. Watzke, Rauball und zum Teil auch Zorc haben das Schiff, obwohl schon aufgesetzt und leck, wieder ins ruhige Fahrwasser bewegen können. Und das waren Jahre. Und ich war dabei, und Tim Gräsing war dabei. Vielleicht gehe ich beim ersten Heimspiel gegen MG mal mit einem Schild im Biergarten rum, da steht dann "Tim Gräsing bitte melden" drauf. Und wenn er sich tatsächlich meldet, dann lass ich mir sein Buch signieren, es ist es nämlich absolut wert.

 

Heißer Sommer
Uwe Timm, verlag dtv.

Ullrich Krause, die Hauptperson dieses (fiktiven) Romans ist wahrscheinlich ca. fünf Jahre älter als ich. Ich habe einfach versucht, die beschriebenen Stationen seines Lebens vom Studenten – bis es dann irgendwann zu einer relativen Ruhe kommt, nachzuvollziehen. Es geht um die 68 Jahre, die Studentenrevolte, die Radikalisierung, der ganze Muff, der in Deutschland zu der Zeit explodierte. Diese Stationen sind natürlich heute deutsche Zeitgeschichte und waren vor kurzem in der RAF Ausstellung in Berlin zu sehen. Sehr gut. Aber mich hat das Buch deshalb so fasziniert, weil ich die Unruhe, die der Student Krause hatte, schon damals als 15jähriger in mir trug. Die Rebellion ging auch in die Gymnasien, von dem ich natürlich aus der Quarta flog, ich will jetzt nicht sagen nur aus Rebellionsgründen, da war auch eine Latein- und Mathesperre, die ich nicht überwinden konnte. Wie gesagt, ein ständiges Unwohlsein, mit Energie auf die "Rote Punkt Aktion" und "Hausbesetzungen" in unseren Ruhrgebietsstädten. Aus heutiger Sicht Übungsfelder, die kleinen Brüder für uns Schülerinnen und Schüler der großen Studentenrevolten und Aktionen in Berlin und Hamburg. Und an dieses Unwohlsein über den Staat, bis hin zur Hilflosigkeit und unkontrollierbaren wütenden Bauchaktionen, kann ich mich noch genau erinnern. Wir wurden damals politisiert. Aber jetzt kommt die große Stärke des Buches. Es kommt einfach drauf an, wen man trifft, oder wem man grade zuhört. Neben wem man steht, ob da grad ein Mädel ist, die man klasse findet oder ob man sich mit einem großen Agitator die Kante gegeben hat. Man wird nicht einfach zum "Revolutionär", weil man sich was anliest und irgendwelche Konsequenzen aus Zuständen zieht, sondern es kommt darauf an, in welchem Umfeld man sich grad befindet. Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich Leute bewundert habe, die Mikrophonfest waren, die die Menschen begeistern konnten. Gefährlich. Irgendwann war es nämlich egal, wovon der sprach, es war einfach ein Gefühl, wir schaffen das. Ullrich Krause, und auch ich haben aber nie die Zweifel verloren, diesen subjektiven Faktor, den Zweifel an der eigenen Persönlichkeit. Uwe Timm versteht es meisterhaft diese Unruhe einer Person mit der Unruhe im Staate zu verweben. Geschenkt, dass am Ende der Trip ins Esoterische ein wenig aufgesetzt wirkt, aber es rundet das Bild der Zeit ab. Ein wichtiges Buch.

 

Fünf Viertelstunden bis zum Meer
Ernest Kwast, verlag mare

Vor drei Jahren fiel mir ein Roman des preisgekrönten japanischen Autors Haruki Murakami in die Hände. Ein „Männerroman“ aus Japan, den sicher auch viel Frauen gelesen haben, denn er ist literarisch von außerordentlicher Qualität. Es ist die Geschichte einer Obsession, geboren in den Kinder - und vorpubertären Jahren von Hajime und seiner Jugendliebe Shimamoto.
Das kann sicher jeder gut nachvollziehen. Es gibt, wenn ich etwas wühle in meinen Gedanken, Geschichten und Dramen aus all den erlebten Jahrzehnten, immer wieder das eine oder andere Gesicht aus der Vergangenheit, bei dem, wenn es dann tatsächlich auftaucht, ein Schwall Emotion einen nahezu unerklärlich überwältigt. Es kann ein Gesicht sein aus frühen Jahren oder die Erinnerung an eine frühe erotische Situation. Im vorliegenden Büchlein, vielleicht sollte man sagen, Novelle, empfand ich alles als noch besser getroffen. Es ist ein Liebesroman, unvergleichlich schön in seinen starken Bildern, kurz, es ist wie Kopfkino; ein Film, der sich die ganze Zeit vor dir abspielt weil alles so stimmig ist. In „Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ sehen Ezio und sein Bruder Alberto sprachlos, wie die 20-jährige Giovanna Berlucchi wie ein Traumbild dem Meer entsteigt. Und hier beginnt das Drama. Ezio fängt sich als erster und rennt auf sie zu. Giovanna ist keck, schön und das alles weiß sie auch. Sie trägt einen „frühen“, zweiteiligen Badeanzug, der erst viel später, als Bikini bekannt wurde. Es kommt in diesem ersten friedlichen Jahr nach dem zweiten Weltkrieg zu hocherotischen Begegnungen zwischen Ezio und Giovanna in der immer gleichen Strand-, Sandmulde. Ihr Liebesnest liegt 8 KM von ihrem Heimatdorf, doch der Weg zum Strand ist wie ein Weg durchs Paradies. Als Giovanna sich allerdings für ihre „Freiheit“, also für ihre Ungebundenheit entscheidet, kommt für Enzio nur noch die Flucht in Frage. Er dreht sich nicht mehr um und verlässt das Dorf am Stiefelabsatz Italiens und landet 1000 KM weit im Norden, in Bozen, Südtirol, und wird Meister des Apfelpflückens. Giovanna bleibt seine einzige Liebe, 60 Jahre hört er nichts von Ihr, bis ein Brief von ihr in seinem Postkasten landet. Er ist erschüttert. Und alt. Aber Giovanna auch. Er fasst sich ein Herz und fährt zurück. Zu ihr. Ich hatte die ganze Zeit die Rollen vorzüglich besetzt mit Sophia Loren und Mario Adorf vor mir gesehen. Zumindest leben sie beide noch und könnten die Jetztzeit spielen. Wunderbare Lektüre, die man sich auch vorlesen lassen kann. Intensiv, traurig, lyrisch und ganz einfach nur schön!

 

Still
Zoran Drvenkar, verlag Eder & Bach

Labile Menschen sollten sich bevor sie dieses Buch anfangen zu lesen, vielleicht mal mit den Danksagungen des Autors am Ende des Buches beschäftigen.
Hier dankt er Freunden und Beratern tatsächlich dafür, dass sie ihm halfen, beim Schreiben dieses Romans nicht durchgedreht zu sein. Aha.
Dieser Thriller ist eine "Sie sind unter uns" - Geschichte. Ein Pädophilenring wäre noch eine harmlose Untertreibung bei der Beschreibung dieses unglaublichen Geschehens. Eine Art Geheimbund ist hier am Werk und existiert schon weit vor der Zeit der Internetpornographie. Ein Horrorrülpser aus den Untiefen menschlichen - oder eher unmenschlichen Daseins. Schade nur, dass ich sofort an ein anderes Buch denken musste, das hier wohl Pate stand: * Jagdzeit* von David Osborn. Auch hier stand vorweg in einer Rezension: "Wer keine Angst davor hat, in Romanen von extremer Gewalt und dem sexuellem Missbrauch zu lesen, der sollte sich *Jagdzeit* (im Original *Open Season*) von David Osborn nicht entgehen lassen. Allen anderen sei gesagt - Finger weg."
Trotz allem: das Buch ist spannend und klug aufgebaut, aber wie gesagt, wie weit darf so was gehen? Dieser Thriller spielt mit Albträumen von Eltern und unvorstellbaren Psychopathologien der Akteure.
Und was Kinder hier durchzumachen haben, kann und will man einfach nicht beschreiben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Buch empfehlen kann. Passiert nicht schon genug unglaublicher Scheiß?

 

Ein ganzes Leben
Robert Seethaler, verlag Hanser

Erst im letzten Drittel beeindruckte mich das Buch wirklich. Dann aber auch tief. Andreas Eggers Geschichte ist die eines Alpenländlers, von denen es bestimmt viele gab und gibt, ärmlich aber fest naturverbunden, wetterkundig und leidlich mürrisch. In Gasthäusern auf Eckbänken still die Suppe löffelnd und draußen steht der Schlitten, den der bärtige Wuchtling, eigenhändig, beladen mit den Vorräten eines Monats, auf seine einsame Hütte zieht. Die steht hoch oben am Hang mit gnadenloser Aussicht auf das Wetter von Übermorgen. In etwa so. Eine schwere Kindheit bei Adoptiveltern, auch schwer geschlagen in Armut und Glauben, mit ein paar Widerwärtigkeiten durch den Bauern und der still leidenden Bäuerin. Aber aus Eggers wird ein kräftiger, wenn auch nicht im schulwissenden Sinne, kluger Mensch, der versteht, sich durch dieses karge Leben zu manövrieren. Dann ist er dabei, wie in dieses, bisher gottverlassene Tal, die Elektrizität einkehrt und er übersteht, ohne recht zu wissen, was eigentlich los ist, den Krieg als alpiner Soldat im eiskalten Kaukasus und sieht dabei sogar dem Russen ins Auge. Nach Jahren der Gefangenschaft, die er fast gleichmütig übersteht, kehrt er in sein Tal zurück und hat die erste und letzte Begegnung mit Marie. Es endet tragisch. Vorher gibt es noch ein verwirrendes Erlebnis mit dem Hörnerhannes, den Eggers retten will, aber dieser Greis entwischt ihm im Schneetreiben. Dann gibt es so was wie Ruhe in seinem Leben, er wird Seilbahnbauer und auf Grund seiner Kraft und Ruhe ein guter Arbeiter. Er lebt am Ende in einer dieser weiter oben beschrieben Hütte und ab und an im Tal, sieht er sogar 1969 im Fernseher eines Wirtshauses, wie der erste Mensch den Mond betritt. Und wie gesagt im letzten Drittel oder noch später kommen so wunderbare Zeilen wie: „Bald kommt der Frühling. Die Vögel haben ihn schon gesehen. In den Knochen regt sich was. Und tief unterm Schnee platzen schon die Zwiebeln“. Und jetzt wird klar warum ich hier aufhorchen musste: ein Gedicht von mir, ca. 10 Jahre alt, fängt folgendermaßen an: „Noch Wintertag, da regt sich was, nicht nur bei Murmeltieren, auch mir ist so als würd` ich‘ s spüren, unter mir wächst schon das Gras“. Und somit schaute ich noch genauer hin und mit diesem wunderbaren Zitat will ich schließen: „Er hatte geliebt. Und er hatte eine Ahnung davon bekommen, wohin die Liebe führt. Er hatte gesehen wie Männer auf dem Mond herumspazierten. Er war nie in die Verlegenheit gekommen, an Gott zu glauben, und der Tod machte ihm keine Angst. Er konnte sich nicht erinnern, wo er hergekommen war, und letztendlich wusste er nicht, wo er hingehen würde. Doch auf die Zeit dazwischen, auf sein Leben, konnte er ohne Bedauern zurückblicken, mit einem abgerissenen Lachen und einem einzigen, großen Staunen.“ Da kommen mir die Tränen. Aber echt!